Das letzte Leben

Vor gut einem Monat wurde mir unfassbar schmerzhaft bewusst wie viel Raum das falsche Selbst – Programmierungen von Eltern und Gesellschaft, Automatismen der Fixierung, Blockaden und Muster aus den Traumatisierungen mit ihren Überlebensmechanismen – in meinem Leben bisher eingenommen hat. Ich habe mein Leben lang versucht mich ruhig, still, angepasst und liebenswert zu machen. All die Versuche, Übungen und Konzepte haben mich erschöpft und unterdrückt. Und jetzt will ich die Erschöpfung und Depression nicht. Das ist absurd!

Plutonische Wut, schiere Verzweiflung und überwältigender Schmerz aus dem Erkennen der eigenen inneren Verwahrlosung haben mich in eine radikale Wahrheitsschau geworfen. Da ist viel Trauer über all die Jahre die ich mich verlassen, vernachlässigt und selbst unterdrückt habe. Mir nicht erlaubt habe einfach zu sein und zu lieben. Und mir nicht erlaubt habe tief geliebt zu werden. Da ist ein gewaltvoller Akt in mir der mir nicht begegnen will. Ich bin alleingelassen worden und jetzt lasse ich mich selbst allein. Es tut verdammt weh die innere Verwahrlosung zu fühlen! Diese enorme innere Not des bedürftig allein gelassen worden Seins und mich damit allein Lassens ist eine masochistische Quälerei. Damit ist jetzt Schluss.

Das Erlebte und Erleben richtet sich nicht gegen sondern für mich, für meinen Prozess. Dinge geschehen und Menschen gehen ihren Weg. Was wen ich meiner Wahrnehmung trauen kann, wenn sie Realität abbildet? Dann nehme ich mich ernst! Ich möchte mir ganz nahe kommen und sein. Ein Rufen und Ausschau halten nach dem wahren Selbst, lauschen und wahrnehmen, immer wieder die Seele in den Körper einladen, mich mitteilen und Menschen tief begegnen und mit mir vor allem durch den verbundenen Atem täglich in intimen Kontakt sein haben viel Bewusstsein und neue Lebendigkeit gebracht. Die Verzweiflung schob und die Wahrheit erfahren wollen zog mich in die bisher tiefste Erfahrung.

Wie viele Jahrzehnte mit unzähligen Mechanismen versuchte ich der inneren Leere auszuweichen, sie wegzuschieben, zu überdecken, zu verstecken vor mir und den Mitmenschen. Diese klare schmerzhafte innere Wahrheit im Kern nichts einfach nur Leere zu sein wollte ich nicht haben. Ein Wesen ohne Botschaft, Mission, Auftrag, Ziel. Man kann den eigenen Willen nicht benutzen um sich selbst zu vernichten, es funktioniert nicht. Das einzig mögliche ist sich zu akzeptieren wie man ist. Egal wie hart es ist mit mir in intimen Kontakt zu bleiben, ich werde nichts und niemanden mehr in mir zurücklassen. Jetzt gibt es ein Daseinsrecht für alles. Endlich war ich bereit genug genau das zu erfahren, erschöpft vom Bekämpfen und Wegrennen, verzweifelt ob all der vergeblichen Versuche doch etwas anderes zu finden. Genau an dem Punkt wo die Erfahrung der inneren Leere zu hundert Prozent auftauchen konnte.

Zuerst war da nur Ablehnung gegen diesen leeren, schweren, unlebendigen Brocken den ich mein(e) Leben lang schon mit mir herumschleppte. Jeder Versuch etwas Dankbarkeit wahrzunehmen verfehlte sein Ziel. All die Mühe, den Groll, die Erschöpfung, die Scham des „in Wahrheit nichts Seins“ und die Verzweiflung fühlen und ausdrücken. Es war kein durchfühlen sondern ein hinein sinken, ja zu diesem Anteil (?) meines Selbst „die innere Leere“ werden. Schwere tote Leere die mächtig bedeckend sich ins Unendliche erstreckt, unbeweglich und unbarmherzig der Zeit trotzend wie eine uralte verlassene, vergessene Festung in der kein Leben mehr zu finden ist. Was schützt sie? Nichts keine Ahnung! Nur wieder diese altbekannte Verzweiflung darüber, dass meine Blockaden und Widerstände nicht wie bei all den anderen Menschen irgendetwas Wertvolles beschützen und damit ehrenswert behandelt werden können. Nichts nur Totenstille, was verbirgt sie vor mir … warten … lange nichts … bis es wie ein plötzlicher Einfall zu mir durchdrang. Den Tod, all die Tode meiner Seele, alle die toten Anteile meines Selbst, die wahrzunehmen wurde bisher von mir ferngehalten. Ein Schaudern und Grauen durchzog alles und die Schleier fielen. Das Schauen all der Leben meiner Seele zu allen Zeiten und alle Tode, die sie schon gestorben ist, berühren mich zutiefst. Angst stiegt auf und meldet sich als warnender Wächter mit der Botschaft: „Achtung hier gibt es kein Zurück mehr.“. Das will ich ohnehin nicht, so viel ist mir klar, koste es was es wolle ich will die Wahrheit erfahren. Da zog sich die Angst zurück und es wurde still, ganz still, absolute Präsenz, reine Bewusstheit, völlig neutral, zeit- und grenzenlos … das bin ich, das ist die Wahrheit und die Seele ist gestorben. Ich war mir noch nie so nahe ohne etwas zu sein. Unglaubliches Staunen darüber, dass es kein Wollen braucht um lebendig zu sein, alles ist belebt in diesem endlosen Raum der leeren Nichtexistenz. Seither bin ich das und tief dankbar für jeden Atemzug da mir klar gezeigt wurde, dass dies mein letztes Leben ist. Dieser Tod ist nur als Erwachte möglich als befriedete Seele.

Am 1.1.18 geschah das erste Aufwachen – der Tod des diesseitigen Ichs – mit der ersten Erfahrung der Unendlichkeit. Da ging es erstmals durch alle Gefühle hindurch in die innere Tiefe der ewigen Seinszustände wie Frieden, bedingungslose Liebe und reine Freude. Dass es da noch weiter in die Tiefe geht war mir nicht bekannt. Es war ja auch immer herrlich in diesen Seinszuständen anzukommen und zu sein. Sie sind nicht die letzte Wahrheit. Wenn diese Zustände auch noch verschwinden und sich die innere Leere als Nichtexistenz erfährt, dann stirbt die Seele, alle Bindungen, Bezüge, Beziehungen, Inhalte fallen weg. Wenn die Seinszustände vollständig auftauchen und ins leere Nichts fallen bin ich ganz körperlich präsente Stille. Es bleibt nichts nur mehr reines Bewusstsein in dem „ich“ gestorben bin und dennoch Lebendigkeit erfahren wird. Alle Beziehungen sind auch nur eine Erfindung, die eigene Schöpfung in jedem Moment wieder neu. Es sind die Beziehungen, die wir erfinden, die überhaupt erst ein „ich“ hervorbringen. Am 20.12.19 geschah diese Erfahrung der Vertiefung, der Tod der Seele, alles erlöste sich im Jenseits. Was bleibt ist lebendige, leere, stille Präsenz. Seither bin ich bei mir und kann erfassen was die Mystiker mit „sterben bevor du stirbst“ wirklich meint.

In tiefer Dankbarkeit vor allem für Fanny und Romen!

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Der letzte Abend

Vor einem Monat war ich fast nicht mehr da, es war zu viel und ich habe geplant, mit möglichst wenig Ungemach für andere Menschen, dieses Leben zu beenden. Die Details spare ich aus. Es war geplant und ich war da und bereit. Gleichzeitig war auch etwas Größeres am Werk, das den Plan vereitelt hat. Das Universum hat es schlicht nicht erlaubt. Das hat mich so demütig verunsichert zurückgelassen, dass ich in dieser langen, dunklen, einsamen Nacht entschieden habe Gott nicht mehr in sein Handwerk zu pfuschen und mein Leben zu akzeptieren. In der inneren Verwahrlosung, Resignation und Kapitulation kurz davor habe ich einen „letzten“ Text verfasst den ich hier mit dir teile:

Es ist Zeit Abschied zunehmen.

Es gibt den Moment wo der Rhythmus des Atmens und des Herzschlages versiegt.

Der Tod ist nicht die Strafe sondern die Belohnung.

Wie oft bin ich im Leben gestorben?

Der Blick auf das Ende erfüllt mit Dankbarkeit und Frieden.

Ich kann einverstanden sein mit dem was das Leben geschenkt, gebracht, genommen und abverlangt hat.

Ich bin mir bewusst bereit zu sein zu gehen – auch wenn manches noch offen ist.

Was wäre noch zu klären um im inneren Frieden zu sein?

Egal, es liegt nichts in meiner Hand.

Den Tod sehen entspannt mein Herz, ein Blick in das Wesentliche und Wirkliche erlöst.

Wirklich ist nur dieser Augenblick.

Es gibt nichts außer diesem Augenblick.

Und der ist unabhängig davon was geschehen ist oder geschehen könnte.

In Bezug zu diesem Augenblick brauche ich nichts.

In dieser inneren Realität bin ich frei.

Es braucht keine Erwartung, keine Absicht,  keine Erinnerung und kein Wissen.

Welche ein Segen zu gehen!

Heute bin ich anders da, vieles spannt sich aus dem Augenblick auf. Ich erkenne wie ich das Leid nicht fühlen wollte und taste mich da rein mir das zuzumuten was an der Grenze von Bewusst- und Unterbewusstsein auf mich wartet. In der Not spüre ich die Notwendigkeit zu leben. Einsicht und Erkennen in verschiedenen Kontexten bereiten einen nach dem anderen Schritt ins Nichts vor und tragen zum Schauen von Wahrheit bei. Durch die Demütigung hindurch gehend bricht der Stolz etwas in der Hand haben zu wollen. Es ist zu früh zum Sterben, weil ich mein Herz noch nicht voll gelebt habe. Mein falsches Selbst verhindert frei meine Liebe auszudrücken und mich hinzugeben im Leben an die Menschen.

Wie will ich sterben und wie will ich leben? Ganz in Kontakt mit diesem unmittelbaren Augenblick durchdrungen und gehalten vom unendlichen Herzensraum. Dann ist es gut.

Wie viel Tod enthält dieser Augenblick? In der Tiefe des Moments stirbt jede Form und jeder Zustand und der Tod erfährt sich wie das Leben. Vielleicht ist meine Todessehnsucht gar nicht gegen das Leben gerichtet. In ihr verbirgt sich ein Sehnen ganz im Herzraum aufgelöst zu sein und zu leben. Mich frei darin bewegen zu können und mich aufzulösen im unendlichen Herzen.

Liebe sein und ersehnen. Da fließt so viel Liebe in und durch mich. Diese Liebe, die keinen Ausdruck findet, brennt. Ein Höllenfeuer im Inneren endlos qualvoller Schmerz. Ich habe nichts in der Hand tod wie lebendig. Lieber Gott bitte heile mein Herz.

Der Augenblick ist jetzt, er fängt nicht an und hört nicht auf. Im Augenblick ist Liebe. Da ist ein überfordert sein aus Liebe. Bitte hilf mir ehrlich zu sein! Es tut so weh das ganze Verstecken, Zurückhalten und Täuschen. Meine Traurigkeit ist Liebe die sich nicht ausdrücken darf, sie ist bodenlos. Ich erfahre mich als leeren Raum voller Sehnsucht und unendlichem Energiedurchfluss.

Sinken in den tiefen inneren Grund erkenne ich in mir selbst Wahrheit: Liebe kann durch kein Tun erreicht werden, schon gar nicht gedacht werden (da liebe ich nur eine Phantasie). Liebe entsteht! So sehr es versucht wird, das Gefühl der Liebe ist nicht erreichbar. Es ist unmöglich etwas zu tun, um einen anderen zu lieben oder mich liebenswert zu machen. Für Liebe kann man nichts tun oder lassen. Liebe (und Selbstliebe) kann unmöglich gemacht werden. Liebe geschieht! Es ist ein innerer Zustand der passiert. Vielleicht gerade wenn der Auftrag „liebe dich, das Leben …“ fallen gelassen wird. Wie wäre das, wenn ich gar nichts lieben müsste? Wie fühlt sich das an? Wenn ich nichts lieben soll, dann kann Liebe, wie alle anderen Zustände auch, auftauchen. Mir bleibt nur mich anzunehmen wie ich bin – bedürftig, verletzt, sehnsüchtig, lebendig, liebend – und aufhören mich selbst zu negieren oder mir vorzuschreiben wie ich sein soll(te). In der Welt sein bedeutet alles lieben lernen. Heilung liegt in der Fähigkeit bedingungslos zu lieben.

Alles was wir nicht fühlen können und wollen steuert uns. Ich bitte darum in der Lage zu sein auf meine Wahrheit zu schauen und der (Selbst)Erfahrung zuzustimmen. Die Ohnmacht und Unentrinnbarkeit akzeptieren. Fühlen und hinschauen, beobachten und benennen was da ist. Es unterscheiden von dem was da sein soll(te).

Ich darf etwas von mir verstehen. Ich darf alles fühlen. Und ich kann mich ausdrücken. Das ist Gnade und Segen. Gottes und mein Wille fallen im Mensch sein zusammen. Ich bin und fühle mich erstmals wie eine von euch. In Liebe Barbara

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