In den dunkelsten Tagen mein Herzbeben

 

Es gibt zwei Arten von Schmerz im Nervensystem: verlassen werden und verlassen sein.

Verlassen werden ist ein Ereignis.

Jemand zieht sich zurück, eine Beziehung bricht, ein Kontakt verändert sich. Es tut weh und es löst Alarm aus und trotzdem bleibe ich dabei nicht allein. Da ist noch ein Gegenüber, selbst wenn es gerade weggeht. Da ist Hoffnung, da ist Kommunikation möglich, da ist die Hoffnung noch etwas zu verändern. Das macht diesen Schmerz spürbar, doch nicht existenziell bedrohlich.

Verlassen sein ist ein Zustand.

Er entsteht, wenn die Menschen mit denen ich war/bin nicht wirklich verfügbar waren/sind – emotional, innerlich, körperlich. Dann entsteht ein Grundgefühl von: „Ich bin alleine, auch wenn jemand irgendwo irgendwie da ist oder sein könnte, weil einfach keine Erreichbarkeit besteht.“ Dieser Zustand wirkt wie ein bodenlos andauerndes bedroht sein von Abwesenheit ohne Ende. Er zeigt sich in Momenten, in denen eine kleine Irritation sich plötzlich anfühlt wie ein Abgrund. Daher kommt ein klammern nicht aus Bedürftigkeit, sondern weil ihr Nervensystem das „Verlassen-Sein“ um jeden Preis verhindern will. Selbst eine schlechte Beziehung kann dann sicherer wirken als die Leere „da kommt niemand mehr, für dich interessiert sich niemand wirklich“, die im Inneren abgespeichert ist.

 

Und genau deshalb ist diese Unterscheidung so wichtig: Verlassen werden schmerzt während Verlassen-Sein fundamental destabilisiert. Es ist ein „ohne Bezug/Bindung konnte ich nicht leben“ als Kind und kann ich als Erwachsene nur in absoluter Unsicherheit leben. Diese Situationen sind so viel intensiver, als sie äußerlich erscheinen, weil der Körper reagiert nicht nur auf das, was passiert sondern auf das, was damals fehlte. Es ist das alte innere Fallen und jetzt wieder an den Rand dieses Fallens in den inneren Tod kommen. Der Schmerz kommt nur ein wenig vom Abschied selbst, sondern von der frühen Erfahrung, dass niemand wirklich antwortet, niemand meinem Blick standhält, niemand wirklich erreichbar ist. Reaktiviert, wenn jetzt niemand antwortet, und dieses schweben im Nichts bis irgendwann oder auch nie wieder ein kontaktfähiges und begegnungsbereites Gegenüber da ist. Ich spüre diesen Zustand mehr und mehr bewusst, halte mich in der Bodenlosigkeit des Verlassenseins.

 

Als Kind waren es Nahtoderfahrungen, ich war knapp an der Grenze zu sterben, das sind die schlimmsten Qualen, die Todeshölle im Körper ohne jedes „schöne Licht“ außerkörperlicher Erfahrungen. Ein ständiges „überlebe ich es oder nicht“. Da geht man als Mensch freiwillig um keinen Preis hin, nicht-mal mit Begleitung und Halt. Da wird man, wie ich hineingeworfen als Kind spaltet alles ab, um zu überleben. Und wird wieder hineingestoßen, um den tiefsten Schmerz und die größte Angst zu konfrontieren. Bewusst durch den Schmerz atmen im ergriffen werden und im Körper da bleiben. Früher hat es mich in der Nacht überkommen: Der ganzen Körper zusammengezogen bei gleichzeitig enormen Herzrasen, Schwindel und schwarz vor Augen werden und ich wusste, wenn ich da länger drin bleibe sterbe ich körperlich. Diese Angst gibt es in mir, da ist der Tod, das schwarze Loch wo ich zu Ende bin. Jetzt damit im Tagesbewusstsein durchgehen verwandelt meine Innenwelt.

 

Die Beziehung zu Nähe mit allem Alten im Inneren wächst sich in eine satte Stabilität aus. Der Schmerz des Nichtgewolltseins und die Traurigkeit des Alleingelassenseins fließen durch und ruht in meiner Geborgenheit. Integriert ist dieser Schmerz meine Kraft. Am eindrücklichsten und berührendsten waren die Stunden, wo ich mich in einem riesigen Stadion voller innerer Kinder vorfand. Alle inneren Anteile kennen dieses „Verlassen-Sein“ und warteten schon lange still mit gesenkten Kopf auf mich. Zu jeden einzelnen jüngeren ich hingehen, sanft über die Wange streichen, den Kopf in meinen Händen heben und im Blickkontakt verweilen. Alle Kleinen die vor die Tür gesetzt wurden (weil für meine Mutter meine Anwesenheit mit an sie gerichtete Bedürfnisse unerträgliche panikartige Zustände hervorrief und ich weg musste) an meinem Herzen Haut an Haut wärmen. Emotionale Schwerarbeit bis zur Verschmelzung. Danach war eine Lebendigkeit in meinem Solarplexus anwesend, die ich noch nie gespürt habe.

 

Bedingungsloses Bleiben. Das System erweitert sich und das tut weh, weil all das Ungefühlte zurückkehrt. Ich bin da für mich und wachse über den unermesslichen Schmerz der unsicheren womöglich ewigen Einsamkeit hinaus. Fühlen in Dosen, um nicht weggespült und zusammenzubrechen, Nervensystem regulieren, Körperpräsenz. Selbstverbindung mit Bewusstsein und Wille. In der absoluten Unsicherheit sicher werden. Vollständige Annahme von dem was ist. Da ist tiefe Dankbarkeit für den inneren Halt den ich mir erarbeitet habe. Auch wenn mein Augenblick niemand berührt, mein Herz ist immer offen für mich.

 

Heute weiß ich, dass loslassen (des Alten) nichts mit ignorieren oder ausblenden zu tun hat. Loslassen ist nichts aktives, dass einfach so schnell mal getan werden kann, sondern ein sich immer tiefer Annehmen. Wie mit allen Dingen, kannst nur etwas losgelassen werden, das vorher zu mir genommen und angenommen wurde. Einen Ball kannst du nur loslassen, wenn du ihn vorher in die Hand nimmst. Nur anders als beim Ball, bedeutet zu dir nehmen, den eigenen Schmerz sehen, fühlen, spürend im Körper sein und bleiben. Es ist nicht wichtig anzuschauen was passiert ist. Sondern das was es mit dir gemacht hat und was du fühlst. All die Wut und den Schmerz, die Trauer erlauben. Dann kommt das Loslassen des Überlebten irgendwann von alleine. Und dann geschieht die Magie auf leisen Sohlen. Dann kommt die echte Liebe!

 

Ja, der Schmerz ist heftig. Doch er ist auch mein Feuer der Transformation und mein Wasser der Auflösung. Er verbrennt Abspaltungen, Abhängigkeit, geglaubte Lügen über mich (nein ich bin nicht das Unheil, ich mache es nur sichtbar) und schmilzt erlösend Lieblosigkeit, Herzmauern, Besetzungen und Introjekte.

✨ Aus Schmerz wird Klarheit.
✨ Aus Abstürzen wird Stärke.
✨ Aus mir wird reine Liebe.

Wahre Liebe bleibt wahr, wenn alles wankt.

In der Dunkelheit ist so viel Liebe, Hingabe und Kraft.

 

Unlichte sprich herzenskalte, lieblose, falsche Menschen können mir nicht in die Augen schauen. Sie ertragen mein Seelenlicht nicht. Es würde zu viele Herzmauern aufweichen, Abspaltungen wären überflutend retour, die Ketten des Funktionierens lösen sich darin auf und wahre Freiheit wäre spürbar. Es ist wie ein Sprengstoff meines Herzens zusammengesetzt aus tiefster Liebe und zerstörerischer Kraft, die selbst riesige Kerkermauern sprengen und auflösen kann. Mein Ego hat es nicht überlebt, diese Leuchtkraft der Liebe und Zerstörungsmacht in mir. Meine Anwesenheit macht in den Menschen ihre eigenen zerstörerische Energie spürbar. Es wird sichtbar (natürlich auch in mir) wie zerstörerisch ein Leben ist das auf Funktionieren und es den Anderen recht machen ist. All das Unheil wird angetriggert und manche laufen vor meiner Spiegelung davon (das habe ich früher auch lange so gemacht und bin vor mir selber geflohen in der Not des doch irgendwie dazugehören Wollens). Mein Innerstes ist Liebe, die tiefst mögliche Liebe, und sie hat eine enorme Zerstörungskraft allem Lieblosen und Falschen gegenüber. Ich lasse sie da sein, empfange und beanspruche meine ganze Liebes- und Zerstörungskraft. Die liebe, nette, dienende „falsche Barbara“ ist der Schatten der Vergangenheit. Im jetzigen Bewusstsein war nichts davon echte Liebe. Mein Herz war immer offen, aber kraft- und wirkungslos für mich.

 

Neumond, Wintersonnenwende, Mutternächte (Raunächte)… ich sehe, spüre und fühle… in den dunkelsten Stunden erhebt sich das hellste Licht in mir.

2 Gedanken zu „In den dunkelsten Tagen mein Herzbeben“

  1. Liebes, ich bin sooo stolz auf dich, wie du deinem wahren Sein nun Raum gibst, sich durch dich auszudrücken. Mit allem, was du bist. 💖
    Zu deinem höchsten Wohle und zum höchsten Wohle aller.

    Weil du Liebe bist. 💖

Schreibe einen Kommentar zu Marie-Paule Antwort abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert