Regulieren und expandieren – über reife Liebe und die Rückkehr zu mir selbst

Es gibt einen modernen Mythos besonders in der Coaching- und Wellness-Szene dass Einsicht gleichbedeutend mit Transformation sei. Dass Journaling, Selbstbewusstsein oder Nervensystem-Hacks das Fundament erhöhen würden. Tun sie nicht. Sie helfen, es zu beobachten. Sie helfen, präsent zu bleiben. Aber sie bauen nicht das, was nie gebaut wurde. Kapazität ist nicht kognitiv, sie ist somatisch. Sie lebt im Körper. In der Art, wie sich die Brust bei Konfrontation zusammenzieht. In der Art, wie der Atem sich bei Unsicherheit verkürzt.

Wenn sich alles zu viel anfühlt, liegt das Problem nicht in deiner Persönlichkeit. Kapazität ist nicht, wer du bist. Es ist, wie du gebaut wurdest. Es gibt eine Art von Erschöpfung, die nicht daherkommt, dass man zu viel tut. Sie kommt daher, dass man etwas trägt, wofür das eigene System nie trainiert wurde. Weil in der Entwicklung nie das Gerüst gebaut werden konnte, um das zu halten, was das Leben verlangt.

Kapazität ist ein Ergebnis aus tausenden von gelebten Momenten, die entweder aufgebaut oder verbogen haben. Sie zeigt sich daran, wie viel Kontakt dein System aushalten kann, bevor es zusammenbricht. Dieser Kontakt kann emotional, zwischenmenschlich oder existenziell sein – Enttäuschung, Unsicherheit, unerfüllte Bedürfnisse, Beziehungsbrüche. Zusammenbruch bedeutet nicht, dass du kaputt bist. Es bedeutet, dass der innere Rahmen nie fertig gebaut wurde. Es ist ein Prozess den eigenen emotionalen Container zu bauen.

Viele Menschen, die äußerlich hochfunktional wirken (so ich es früher war), sind innerlich emotional untergebaut. Sie dissoziieren unter Stress. Sie intellektualisieren Schmerz. Sie verwechseln Distanz mit Regulation. Und wenn der Druck kommt, fällt ihr System in Zusammenbruch oder Kontrolle. Das nennen wir entwicklungsbedingte Unterstrukturierung. Die Reparatur geschieht im in Kontakt bleiben innen wie außen, darin verankert sich Neues. Sanft, kleinschrittig, bewusst. Das baut sich in Mikromomenten des Unbehagens, die überlebbar, wiederholbar und bedeutsam sind. Nicht mit Leistung oder Perfektion, sondern mit Wiederholung und in Beziehung übend.

Das Erste, was es braucht, ist ein Raum, in dem das System keine Sicherheit mehr vorspielen muss. Wo es in Präsenz ruhen darf und mit allem willkommen ist. Ein überlebter Atemzug nach dem anderen. Kapazität entsteht, wenn das System in der Herausforderung gehalten wird – lange genug, um aufzuhören zu verteidigen und anzufangen, sich anzupassen. Das ist keine schnelle Arbeit, sie ist real und bezogen, spürend das Fühlen erlaubend. Hier baut sich Wirklichkeit. So sieht Wachstum aus. Es ist nicht konzeptionell, es ist strukturell.

Grenzen sind ein Anfang keine Struktur! Wenn jemand entwicklungsbedingt unterversorgt ist, werden Grenzen zur gesamten Strategie. Alles, was schwer ist, wird zur Linie. Alles, was das System triggert, wird zum shutdown. In diesem Zustand wird „Self-Care“ zu einem Überlebensmanagement, nicht zu echter Erholung. Das ist nicht tragfähig. Das System beginnt, sich um das Vermeiden von Überforderung zu drehen, statt um den Aufbau von Toleranz. Vermeidung ist keine Regulation. Sie ist getarnte Reaktion. Ein Nein wird ausgesprochen, aber aus Schutz, nicht aus Kontakt. Es schützt die Autonomie, nicht das Miteinander. Und auch dahinter liegt eine Geschichte, in der Grenzen nicht gewürdigt wurden oder Nähe zu schnell zu eng war. Verantwortung für die emotionale Reaktion übertragen oder übernommen wurde. Die eigene Integrität scheint nur alleine aufrechthaltbar. Das wird sichtbar im mich auf mich UND gleichzeitig tief auf ein nahes Gegenüber einlassen.

Nervensystemregulation ist in aller Munde. Und sie ist wichtig. Aber irgendwie hat sich ein Missverständnis eingeschlichen, denn sie hat NICHT das Ziel, uns die ganze Zeit in parasympathischer Tiefenentspannung verweilen zu lassen. Und alles was davon abweicht, als Gefahr zu sehen. Wir verwenden Techniken nicht, um das Leben “nieder zu regulieren”. Um weniger spüren zu müssen.

Regulation ist nicht das Ende. Regulation ist ein Prozess. Es ist ein Prozess der Expansion. Stabilität wird manchmal mit künstlich konstruierter Sicherheit verwechselt. Wir praktizieren nicht stabil zu sein, um nie wieder zu wackeln. Sondern um mit mehr und intensiveren Wackeltriggern umgehen zu können. Stabilität ist nicht das Endziel. Es ist eine notwendige Stufe, die uns ermöglicht, in die Ausdehnung zu gehen. Wenn wir nie über Stabilität hinaus gehen, kippt sie irgendwann in Lethargie und Taubheit.

Es geht darum, unser Toleranzfenster zu dehnen, um mehr Disregulation und Störfaktoren handeln zu können. Und damit meine ich nicht, dass wir jeden Bullshit reinlassen müssen. Sondern, dass dieses Leben unvorhersehbar und wild und voller Überraschungen ist. Nervenflexible Adaption an die Situation. Geschmeidig geben sich Sympathikus und Parasympathikus die Klinke in die Hand.

Es ist nicht das ganze Leben neutral und in allumfassender Balance. Hormonell oder emotional. Es ist wichtig, sich zu fragen, was der Antrieb zur Praxis ist. Wenn es mehr die Angst vor dem Leben ist und nicht der Wunsch, es ganz erfahren zu können, dann ist diese Angst der Beginn. Bleibt sie unbewusst, infiltriert sie die Praxis. Nervensystemarbeit drückt dann den gut verkleideten Wunsch nach Kontrolle aus. Wenn Nervensystemarbeit zu Flucht und Zwang wird, sind wir bei einem altbekannten Problem angelangt. Techniken zu benutzen, um das Leben zu kontrollieren und zu manipulieren.

Doch bleibt letztlich „nur“ zu lernen, mit der Realität zu sein. Mit dem, was gerade ist. In MIR so wie es ist. Ohne es zu manipulieren. Ohne es sich schön oder unschön zu reden. In der Lage sein uns sein lassen können das ist die Meisterschaft. Warum, weil es hier um die Wahrheit geht, weil der Antrieb ist mich wahrhaftig kennen zu lernen und zu erleben wie ich als lebendiges Wesen bin.

Wir müssen die Störfaktoren nicht so schnell wie möglich raus schütteln und jeden Stress aus unserem System entfernen. Dieses Leben ist nicht für ständige Tiefenentspannung designt. Es braucht Menschenwesen, die Spannung, Angst, Ohnmacht, Verzweiflung und die damit einhergehenden Symptome erleben können, um in ihnen das Gold zu finden und damit zu expandieren. Das Ziel ist nicht, sich für immer zu schützen. Das Ziel ist, langsam zu jemandem zu werden, der intakt bleibt, wenn das Leben schwerer wird, voller Gefühle die nie durchfühlt wurden und nun endlich gehalten da sein dürfen.

In einer Welt der Oberflächlichkeit habe ich immer die Tiefe gewählt. Und das weiter lieben auf Gott komm raus, obwohl alles dagegen sprach. Diese tiefe Liebe, die ich bin ist das kostbare Geschenk, das ich den Menschen machen kann, die mit mir sind. Die Wahrheit ist oft ein Zusammenspiel aus Licht und Wunde, aus Seelenführung und Prägung, aus Sehnsucht und Schmerz. Was uns verletzt hat, hat gleichzeitig unsere Fähigkeiten hervorgebracht, wie unsere Feinfühligkeit, unsere Intuition und unser offenes Herz.

Ich trage ein Bewusstseinslicht in mir, das aus überwundenem Schmerz herrührt. Dieses Licht kommt nicht aus einem Konzept, einer Ausbildung oder durch irgendeinen/r Lehre/r. Es entstand in den stillen Nächten, in denen niemand zuhört. In den Momenten, in denen ich dachte alleine zu sterben und es nicht mehr zu schaffen weiterzuleben und es trotzdem weiteratmete. Und in der Entscheidung, trotzdem nicht zuzumachen (das Herz, das Leben). In der tiefen Sehnsucht nach Verbindung, die nie beantwortet wurde da begann meine Finsternis zu glänzen in einer Liebe die in mir entstand, um die alles umfassende emotionale Kälte zu wärmen. Mit jedem Herzensbruch, jeder Lieblosigkeit hatte ich die Wahl, werde ich bitter, ergebe ich mich dem Hass und verschließe mich oder bleibe ich offen wund verletzlich. Und jedes Mal habe ich die Liebe gewählt selbst in ihrer Abwesenheit. Die mir gerade größtmögliche Liebe zu leben unabhängig vom Außen macht mein Licht aus. Meine wahre Kraft ist es trotz all der Lieblosigkeit nicht zu verhärten. Ich liebe aus einem Herz das mich selbst (und damit die Menschheit) halten kann. Ich kann mich auf mich – mein Herz – verlassen, mehr als auf jede/n anderen.

Erst war es ein naives Lieben, ein Glaube mit meiner Liebe alles heilen zu können und alle dazu bewegen zu könne mich zurück zu lieben. Ich liebte mit Haut und Haar und verlor immer wieder alles, alle meine Kraft, alle meine Gaben, alle meine Lebensfreude. Ich gab alles und hoffte, überzeugte, verbesserte mich, lernte noch achtsamer und hilfreicher zu sein. Kämpfte gegen meine Bedürfnisse und mit meinen eigenen Wünschen. Es war ein Sehnen geboren aus Mangel und eine Suche nach Erlösung. Die Illusion wir retten einander und tragen uns gegenseitig in Liebe nach Hause. Wunderschön und nicht realisierbar.

Bis ich zunehmend darin kaputt ging, weil eben keine Liebe retour kam, es wieder und wieder einseitig war, weil eben „erarbeitete“ Zuneigung unter der Dauergefahr womöglich nicht zu genügen und in den Kontrollverlust des Liebesentzugs zu fallen. Jedes Verlassenwerden und Verlorengehen warf mich in das Loch des Kontrollverlustes keine Liebe oder Zuwendung mehr zu erreichen. Und irgendwie fing mich doch wieder wer auf bis es dann endgültig wegbrach und der Sterbeprozess des Außen begann. Keine äußere Hilfe trägt mehr, aufgegeben werden, jeder Aufmerksamkeit entzogen, niemand mehr im Herzen erreichbar im Sichtbaren, keinerlei Mitgefühl für mich übrig, kein sehender Blick nur emotional Unerreichbare um mich. In diesem Schmerz komplett verloren zu sein erwachte die mitfühlende Liebe in mir für mich, leise zart und doch überwältigend neu. Schmerz kann zerbrechen oder aufwecken, meist macht er beides. Es ist ein sterben (alles Glaubens und Hoffens), eine Phase der Leere perspektivlos sinnlos scheinbar Totseins (ja die Persona das Ego ist tot) und irgendwann ein auferstanden werden.

Die Suche endete, ich hörte auf zu arbeiten (nicht nur äußerlich sondern auch innerlich), mich zu erklären, zu hoffen, um etwas zu ringen und blieb nur als Dasein. Lauschend nach innen in die Tiefe meines Wesens und genau dort begann die Wiedergeburt. Wenn das Herz vollständig auf- und zerbrochen ist, wenn alles wichtige verloren ging, beginnt oft die Rückkehr zum Wesentlichen. Jung nennt das Individuation. Ich nenne es Heimkehr. Meine Narben und Wunden sind heilige Zeugnisse des L(i)ebesprozesses, der sich ganz hingegeben hat. Zeichen, dass ich zerstört und gefallen bin. Dass ich gebrochen war und trotzdem weiter da geblieben bin. Diese Narben machen mich nicht schwächer, sie machen mich menschlicher und wahrhaftiger. Ich habe gelernt, zwischen den Zeilen zu hören. Die Unsicherheit hinter einem Lächeln zu sehen. Den Rückzug im Blick und in der Stimme zu spüren. Diese Art von Empathie entsteht nicht durch Theorie, sondern durch gelebtes Mitfühlen. Eine enorme Sensibilität und energetische Klarheit strahlt unsichtbar ohne jedes Zutun aus dem Inneren. Noch tiefer, endlich auch mich (mein Ego, meinen Widerstand, meinen Willen) aufweichend bis auflösend, ausweglos wahrhaftig. Ich spreche (und denke) viel weniger und bin still liebevoll da. Nach großem langem tiefen Schmerz wird man still. Nicht aus Angst, sondern aus Wahrheit. Meine Präsenz heilt (mich). Diese Weisheit kommt aus dem Körper. Aus der Tiefe. Aus der Intuition. Aus dem stillen Wissen: Ich spüre, was wahr ist.

Heute liebe ich anders. Ich liebe ganz, aber ich verliere mich nicht mehr. Ich brauche keine Bestätigung mehr, keine Rolle, keine Aufgaben, keine Hoffnung. Ich liebe aus einem Herzen, das sich selbst halten kann. Und ja, diese Liebe ist nicht immer leicht. Sie fordert. Sie ruft nach Tiefe. Aber sie ist echt. Und sie ist frei. Bewusste Liebe fühlt sich anders an. Sie kommt, nachdem wir durch die Hölle gegangen sind. Sie sieht klar. Sie idealisiert nicht und bittet nicht um Rettung. Sie ruht in sich selbst. Und wenn wir sie geben, dann nicht, um etwas zu bekommen, sondern weil wir aus dem Überfließen gereift zum ersten Mal wirklich ein Beitrag SIND. Dann geben wir nicht aus der alten Pflicht heraus, sondern aus der bewussten Wahl. Dann retten wir nicht andere und versuchen ihnen ihre Wachstumslektionen abzunehmen, sondern wir sind da und halten den Raum, während sie wachsen und lernen, mit ihren Herausforderungen in einer neuen Weise umzugehen. Auf diesem Weg wiederholen wir nicht die eigene Geschichte des Alleinegelassenseins, sondern verwandeln sie und bauen für andere daraus Brücken in einem Wirraum geborgen zu sein.

Liebe ist Wahrheit und Schutz.

Alles was nicht Liebe ist wird wegbrechen.

Alles was ich aus dieser Existenz mitnehmen werde ist Liebe.

Liebe ist

Herzkuscheln